Leseprobe



Ein Hund für zwei



1. Blind Dates
»Also, wenn ich meinen Freundinnen erzähle, dass ich ein Date mit einem waschechten Italiener habe«, begeisterte sich Sunny, während sie nach dem Brot griff, »und dann noch so lecker. «
Tony war sich nicht sicher, ob sie damit das Brot oder ihn meinte. Deswegen vermied er ein Danke, stellte jedoch klar: »Ähm, ich bin kein Italiener. Ich bin Grieche. Tony ist die Abkürzung für Antonios.«
»Macht ja nichts!«, wedelte sie mit einer Handbewegung alle geografischen Folgefragen vom Tisch. »Hauptsache heiß und exotisch!« Sunny ließ zweimal beide Augenbrauen hochschnellen.
Gut, offensichtlich hatte sie eben doch ihn und nicht das kostenlose Pizzabrot gemeint.
»Ähm, danke«, reichte er daher nach.
»Wow, das Brot ist wirklich lecker.« Sie schob ihm den Brotkorb hin. Tony war verwirrt. »Hier, probier mal!«
»Danke, aber ich esse kein Brot.«
»Wie? Kein Brot? Nie?«
Tony schüttelte den Kopf.
»Und was isst du dann zum Frühstück?«
»Haferflocken.«
»Na ja«, Sunnys Augen wanderten zu seinen Oberarmen. »Was immer du tust, es scheint ja zu funktionieren.« Wieder hob sie zweimal kurz hintereinander die Augenbrauen, begleitet durch ein weiteres »Lecker!«.
Mannomann, dieses Wort schien sie wirklich universell zu benutzen. Er verstand, dass es als Kompliment gemeint war, brachte aber kein weiteres Danke zustande.
»Sunny«, versuchte er stattdessen das Thema zu wechseln, »das ist ein interessanter Name.«
»Ja, eigentlich heiße ich Susanne, aber Sunny klingt irgendwie viel süßer, findest du nicht?«
Tony fand es ein bisschen albern, sich selbst einen willkürlichen Spitznamen — und ausgerechnet den eines Boney-M.-Songs — zu geben, deshalb sagte er nur »Absolut!« und schob den Brotkorb wieder auf ihre Seite des Tisches. »Und? Was machst du beruflich?«
Normalerweise ließ er sich nur selten auf solche Blind Dates ein, bei denen man im Grunde nichts über den anderen wusste, aber Sunny war gestern online so charmant und freimütig gewesen, dass er sich spontan zu einem Essen an seinem freien Abend hatte hinreißen lassen.
»Ich studiere noch. Nichts Besonderes!«
Richtig, in ihrem Profil hatte er gesehen, dass sie vier Jahre jünger war als er.
»Oh, wow, dann bist du bestimmt ziemlich intelligent. Was studierst du denn?«
»Och, nur BWL. Wie gesagt, nichts Erwähnenswertes.«
Tony sah das anders. Er fand durchaus, dass ein Studium erwähnenswert war, weil nicht jeder die Begabung dazu hatte.
»Und was machst du beruflich? Bestimmt irgendwas mit Sport oder so.« Sie warf ihm einen Blick zu, der vermutlich lasziv sein sollte, der auf Tony aber mehr wie aus einem Comedy-Sketch wirkte.
»Nein, nichts mit Sport. Ich leite eine Tankstelle.« Das klang immer okay und stimmte sogar. Dass er dort allerdings auch nach zehn Jahren nur den Mindestlohn bekam, musste er ja nicht erwähnen.
Sunnys Handy piepste. Sie griff danach, völlig automatisiert, und begann eine Nachricht zu lesen. Tony fand so etwas recht unhöflich.
»Moment! Da muss ich kurz zurückschreiben. Das ist meine beste Freundin Karo. Ich will ihr nur schreiben, wie es läuft.« Während sie die Nachricht verfasste, las sie laut vor, was sie gerade tippte. »Sitze … hier … mit … Tony … was … für … ein … Geilomat … Ausrufezeichen … Sieht … aus … wie … Magic … Mike … in … Adria … Bindestrich … Optik … Komma … sehr … lecker … Ausrufezeichen.«
Dann legte sie ihr Handy wieder auf den Tisch und sah ihn unbekümmert an.
»Du scheinst ja kein Blatt vor den Mund zu nehmen«, stellte er fest.
»Nö, wieso auch?«
Ihm wären da einige Gründe eingefallen. In dem Moment kam jedoch der Kellner und brachte ihnen die Getränke. »Prego! Einmal das Wasser für den Herrn und die Apfelschorle für die Dame. Darf ich denn auch schon eure Bestellung aufnehmen?«
»Gern doch!«, gab Sunny zurück. »Und mein Date bestellt sogar in seiner Muttersprache!«
Tony war klar, dass Sunny offensichtlich wieder vergessen hatte, dass er gar kein Italiener war, dennoch zuckte er nur kurz mit den Schultern und dachte sich: Was soll’s? Zum Kellner gewandt sagte er dann: »Egó tha páro mía merída makarónia, me sáltsa kai manitária, allá chorís kaséri.«
Sunny freute sich wie ein Kleinkind, während Tony überlegte, wie irgendwer, der in Europa aufgewachsen war, den Unterschied zwischen Griechisch und Italienisch nicht hören konnte. Der Kellner schaute ihn verdutzt an.
»Sorry, nur ein kleiner Scherz«, entschuldigte sich Tony. Zu Sunny gewandt wiederholte er: »Grieche! Kein Italiener!«, und zeigte dabei auf sich.
»Ach, stimmt«, sagte sie und lachte leicht übertrieben.
»Also, ich nehme einmal die Spaghetti mit Tomatensoße und Pilzen, aber ohne Käse. Und meine Begleitung hätte gern …«
Mit einer Handgeste verwies er auf Sunny.
»Ich nehme einmal die Tagliatelle mit Lachs in Sahnesoße.«
Der Kellner notierte sich beides und ging wieder.
»Sorry, das mit dem Italiener«, entschuldigte sie sich nun. »Aber jetzt merke ich es mir! Grieche! Gyros! Gyros! Gyros!«
Tony fand es immer wieder erfrischend, wenn Menschen nicht in Schubladen dachten. Spätestens beim dritten Gyros hatte er beschlossen, nach dem Essen definitiv allein nach Hause zu gehen.
Sunny schien den Verlauf des bisherigen Dates jedoch völlig anders einzuschätzen, denn sie fragte auf einmal: »Also, f*ck mich, wenn ich mich irre, aber du spürst doch auch, dass das heute ein richtig guter Abend wird, oder?«
Tony verschluckte sich an seinem Sprudel. Er war ja durchaus für Emanzipation — Girl Power, die volle Dröhnung Spice Girls und so — und fand es auch gut, wenn eine Frau zur Abwechslung die Initiative ergriff, aber nicht auf solch plumpe Art. Wobei er nicht wusste, was er schlimmer fand: die ganzen sexualisierten Komplimente, den fehlenden Filter zwischen dem, was sie sagte und dachte, oder den offensichtlich vorherrschenden Italo-Fetisch?
»Ich freue mich schon darauf, wenn wir gleich bei dir noch einen Espresso genießen!« Wieder schnellten ihre Augenbrauen in die Höhe. Er sollte ihr wirklich sagen, dass diese Geste bei Weitem nicht so betörend aussah, wie sie sich das vermutlich vorstellte.
»Du, nimm es mir nicht übel, aber ich glaube, ich gehe heute lieber allein nach Hause«, versuchte er seine Abfuhr sanft vorzubereiten.
Sunny sah ihn amüsiert an. »Das war ein Missverständnis«, noch mehr Augenbrauen. »Wenn ich sage, dass wir bei dir noch einen Espresso nehmen, dann spreche ich nicht wirklich von Espresso. Wenn du verstehst?«
»Das habe ich schon verstanden. Sei mir nicht böse, aber ich denke, es passt nicht so ganz.«
Doch Sunny ließ sich nicht beirren.
»Nein, du verstehst nicht! Mit Espresso meine ich Seeeex.« Das letzte Wort zog sie besonders lang.
»Wie gesagt, habe ich verstanden. Aber mir ist nicht danach.«
»Bist du dir sicher?«
Er nickte.
»Also, du möchtest keinen Sex mit mir?«
Tony konnte es nicht fassen, dass er hier derjenige ohne Schulabschluss war, während sie angeblich studierte.
»Nein, danke.«
»Nein, danke?«, schrillte ihre Stimme durchs Restaurant. »Was bist du denn für einer?«
Ja, was war Tony für einer? Er war jemand, der sich über mangelnde Angebote aus der Damenwelt nicht zu beschweren brauchte — und das, obwohl er von vornherein immer ehrlich kommunizierte, dass er nichts Festes suchte.
»Wer schlägt denn Sex mit einer Frau wie mir aus? Bist du schwul oder was?«, hakte Sunny empört nach.
Tony seufzte innerlich. Im Grunde hatte sie ja sogar recht. Sie war wirklich eine attraktive Frau. Als sie vorhin das Restaurant betreten hatte, war er tatsächlich noch Feuer und Flamme gewesen.
Das Pärchen am Nachbartisch unterbrach unterdessen seine Unterhaltung und verfolgte lieber die Sunny-und-Tony-Show.
»Wie gesagt, ist nicht böse gemeint. Es passt halt nicht immer.«
»Also doch schwul!« Sunnys Laune besserte sich augenblicklich wieder. »Na, stimmt wohl, was Karo immer sagt. Die Besten sind entweder vergeben oder schwul.«
»Tja!« Tony entschied, sie für den Verlauf des restlichen Abends in diesem Glauben zu lassen. Da der komische Kauz vom Nebentisch ihn immer noch ungeniert anstarrte, erwiderte Tony seinen Blick und hob nun seinerseits zweimal verschwörerisch die Augenbrauen — so wie Verführungskünstlerin Sunny. Gott, er hoffte nur, dass das nicht ansteckend war. Jedenfalls funktionierte es, und der Kerl richtete seinen Blick sofort wieder auf seinen Teller.




Keine sieben Kilometer Luftlinie entfernt hegte Isabelle Neumeier ihrerseits große Erwartungen an ihr heutiges Date. Es war das erste seit geraumer Zeit. Eigentlich hatte sie nicht zusagen wollen, war dann aber doch von Simons offener Art — und seinen Fotos — so beeindruckt gewesen, dass sie spontan seine Einladung akzeptiert hatte.
Außerdem, was konnte an einem Donnerstagabend in einer gut besuchten American Sportsbar mitten in der Kölner Innenstadt schon passieren?
Allerdings war Simon noch nicht da, als sie am vereinbarten Treffpunkt am Rudolfplatz eintraf. Das gab definitiv schon einmal Minuspunkte! Mit jeder Minute, die verging, fühlte sie sich unwohler. Wenn der mich jetzt versetzt, lass ich mich nie wieder auf so etwas ein!, beschloss Isabelle, während sie immer wieder ein paar Meter hin- und herging.
Sie wollte gerade aufbrechen, als Simon schließlich doch noch mit fast fünfzehnminütiger Verspätung eintraf. Immerhin sah er abgehetzt aus und entschuldigte sich mehrfach für seine Unpünktlichkeit.
»Ist nicht schlimm«, beschwichtigte Isabelle, »das obligatorische akademische Viertel halt.«
»Hä?« Simon warf ihr einen verdatterten Blick zu. »Versteh ich nicht!«
In Wirklichkeit sah er tatsächlich noch besser aus als auf seinen Profilfotos, das musste sie durchaus zugeben. Fast schon ein wenig zu gut, wie eines dieser Stockfotos, die sie auf der Arbeit verwendete, auf denen die Menschen irgendwie alle gleich perfekt aussahen.
»Na, das akademische Viertel, so wie an der Universität früher, als alle Vorlesungen immer eine Viertelstunde später anfingen als ausgewiesen«, erklärte sie.
»Sorry, ich war nie auf der Uni.« Simon hob entschuldigend beide Hände, weswegen Isabelle sich unwillkürlich ein wenig elitär vorkam — einfach anzunehmen, dass jeder studiert hatte, so wie sie. In seinem Profil hatte schließlich auch Sportler sucht nette Frau gestanden und nicht Akademiker sucht Literaturwissenschaftlerin.
»Wollen wir?« Simon deutete in Richtung Hohenzollernring.
Auf dem Weg dorthin entgingen Isabelle die Blicke der vorbeigehenden Frauen nicht, die Simon auf sich zog. Dabei hatte sie sich ebenfalls richtig in Schale geworfen. Sie trug ein schlichtes Kleid in Königsblau, das eng anlag und schon wegen seiner leuchtenden Farbe einiges hermachte. Leider löste es bei den männlichen Passanten nicht ebenso schmachtende Blicke aus.
Im Joe Champs bekamen sie dann einen netten Zweiertisch an der Fensterfront zugewiesen. Zudem tönte John Mayer aus den Lautsprechern, als Isabelle sich gerade hinsetzte. Last Train Home — einer ihrer Lieblingssongs.
»Du siehst toll aus!«, eröffnete Simon das Gespräch mit einem Kompliment, als auch er saß.
Eventuell wurde das ja doch noch ein super Abend! Vielleicht war Simon ihr letzter Zug nach Hause? Gott, sie hasste es, wenn ihr Gehirn ihr solch abgedroschene Metaphern unterjubelte. Für das Kompliment bekam Simon aber wieder einen Pluspunkt, den sie mit seinem bisherigen Sollsaldo verrechnete.
»Danke«, sagte sie aufrichtig. Dann hatte sich der Aufwand vorhin im Badezimmer wenigstens gelohnt. Schon allein die ganze Föhnerei immer!
»Also, wenn ich mal so direkt mit der Tür ins Haus fallen darf, wie kommt es, dass eine so hinreißende Frau wie du noch Single ist?«
Ein weiterer Pluspunkt.
»Ich weiß es nicht«, gab Isabelle zurück und wusste es wirklich nicht, denn sie konnte nicht alles auf Henning schieben. Mit dem war sie seit zwei Jahren immer wieder mal zusammen gewesen. Weil er sich allerdings nie binden wollte, hatte sie vor zwei Monaten einen Schlussstrich gezogen. Aber davor? Für die Zeit vor Henning hatte sie keine richtige Erklärung.
»Mir ist wohl einfach noch nicht der Richtige begegnet«, resümierte sie schließlich. »Und wie sieht es bei dir aus?«
»Ach, wohl dasselbe. Ich habe in letzter Zeit immer irgendwie Pech gehabt. Meine Letzte war zum Beispiel total verrückt, so richtig loco, aber das merkt man ja immer erst später.«
Isabelle überlegte, ob sie Ex-Freunde hatte, die sie als verrückt bezeichnen würde. Eigentlich nicht. Dafür fielen ihr aber mindestens zwei ein, die unter enormen Bindungsängsten litten.
»Was machst du denn so beruflich?«, wollte Simon wissen.
»Ich arbeite in einer Designagentur und erstelle dort Buchcover für Verlage«, berichtete Isabelle stolz.
»Also ein Bürojob. Cool, cool.« Eine weitere Frage folgte nicht, was Isabelle sehr bedauerte, denn sie fand, dass sie einen der tollsten Berufe der Welt hatte.
Jetzt war sie wohl an der Reihe zu fragen. »Und du? Was machst du beruflich?«
»Ich bin Fitnesstrainer oder Personal Trainer, wie man heutzutage sagt.«
Er war tatsächlich sehr trainiert, damit man das auch deutlich sah, trug er ein extrem enges Shirt mit tieferem Ausschnitt als ihr Kleid.
»Oh, das klingt interessant. Da triffst du bestimmt jede Menge Leute«, versuchte sie sich immerhin ein wenig für seinen Beruf zu begeistern.
»Ja, total. Das ist auch das Coole an meinem Job. Man lernt immer neue Leute kennen und ist die ganze Zeit in Bewegung. So kann man nicht einrosten. Und du?«
Isabelle hatte ihm ihren Beruf doch schon genannt. Hatte er den schon wieder vergessen?
Aber da schob Simon hinterher: »Magst du Sport?«
»Nicht wirklich. Leider!«, rechtfertigte sie sich automatisch. »Ich weiß, ich sollte mich mehr bewegen, schon allein, weil ich die ganze Zeit im Büro sitze, aber irgendwie kann ich mich nach Feierabend nicht dazu aufraffen …«
Diese Reaktion lösten sportbegeisterte Menschen immer bei ihr aus. Schuldgefühle und Rechtfertigungszwang.
»Keine Sorge!«, beruhigte Simon sie. »Ich gehöre nicht zu denen, die direkt bei jedem Menschen den BMI ausrechnen müssen.«
»Puh! Glück gehabt!« Isabelle atmete übertrieben vor Erleichterung aus.
»Na ja, aber Spaß macht es schon! Ist ja auch mein Beruf.« Simon griff wahrhaftig nach seinem Handy. »Also, einunddreißig Jahre, das stand ja schon in deinem Profil. Und dann schätze ich achtundsechzig Kilo bei einem Meter fünfundsechzig, oder?«
Simon sah aber gar nicht auf, sondern tippte nur fleißig auf seinem Handydisplay herum, während Isabelle nicht wusste, worüber sie mehr schockiert war, über die Tatsache, dass er wirklich — wenige Minuten nachdem sie sich kennengelernt hatten — in ihrer Anwesenheit ihren Body-Mass-Index errechnete, oder darüber, dass er ihr Gewicht und ihre Größe fast auf das Kilogramm und den Zentimeter genau einschätzen konnte.
»Das macht dann einen BMI von 25«, konstatierte Simon, immer noch auf sein Display stierend. »Das ist gerade noch so im Normalbereich.« Er tippte weiter. »Aber sobald du … ja, genau, habe ich mir gedacht … sobald du noch drei Kilo zunimmst, gilt das schon als übergewichtig.«
Isabelle hätte jetzt nicht wenig Lust, einen Persönlichkeitstest aus dem Internet auszudrucken, den er auf der Stelle ausfüllen müsste. Dann würde sie alles auswerten, auf ihr Handy schauen und sagen: Tja, wie ich gedacht habe, schon recht deutlich im Arschlochbereich!
Sie überlegte, ob sie aufstehen und das Restaurant einfach kommentarlos verlassen sollte. Verdient hätte es dieser aufgeblasene Muskelfatzke durchaus.
Simon aber schien ihren Unmut zu spüren. »Also, nimm mir das jetzt nicht übel! Das ist eine Berufskrankheit, so was mache ich bei allen Menschen. Keine Panik! Du siehst toll aus!«
Isabelle war zumindest ein wenig besänftigt, denn so, wie er es sagte, klang es immerhin aufrichtig. Trotzdem fand sie sein Verhalten einfach nur übergriffig und zog die Punkte wieder ab.
Eine Kellnerin brachte zwei Speisekarten. »Guten Abend, kann ich euch schon mal was zu trinken bringen?«
»Also, wenn es nach mir geht, können wir auch direkt schon was zu essen bestellen. Ich hab nämlich ’nen Bärenhunger!«, tönte Simon und schaute Isabelle dabei erwartungsvoll an.
Was soll’s?, dachte diese. Wenn der Abend weiter so desaströs verläuft, ist er wenigstens umso schneller vorbei.
»Klar«, flötete sie daher.
»Okay, also ich nehm eine Cola«, legte Simon direkt los. »Einmal die French Fries und einen Cheeseburger — aber ohne Käse. Heute ist mein Cheat Day.«
»Also ein Hamburger?«, fragte die Kellnerin leicht irritiert.
»Nein! Einen Cheeseburger ohne Käse!«
Hilflos schaute sie von ihrem Block auf, um zu prüfen, ob Simon sich einen Scherz erlaubte. Der war jedoch bitterernst.
Am Nachbartisch kicherten zwei junge Frauen, die Simons Bestellung offensichtlich amüsiert verfolgt hatten.
»Aber ein Hamburger ist doch ein Cheeseburger ohne Käse!«, erklärte die Bedienung.
»Ja, genau, ich will einen Cheeseburger ohne Käse.«
»Okay! Einen Cheeseburger ohne Käse also.« Kapitulierend schrieb sie die Bestellung auf ihren Notizblock. »Und für die Dame?«
Am liebsten hätte Isabelle geantwortet: Ein anderes Date, bitte! Stattdessen bestellte sie einen Caesar Salad und zur Sicherheit noch extra Knoblauchbrot, denn für sie stand jetzt bereits fest, dass sie heute allein nach Hause gehen und Simon nicht wiedertreffen würde.




Als Tony später nach Hause kam, wartete da niemand auf ihn. So wie gestern und vorgestern und vorvorgestern und letzte Woche und letzten Monat. So wie immer. Seit neun Jahren lebte er jetzt schon allein in dieser Fünfunddreißig-Quadratmeter-Wohnung.
Die Vorstellung von einer festen Partnerin hatte er längst begraben. Welche Frau hatte schon langfristiges Interesse an einem Mann, der ihr keinerlei finanzielle Sicherheit bieten konnte? Tony kam gerade so selbst über die Runden. Ein Auto, Luxusartikel oder gar ausschweifende Urlaube konnte er sich nicht leisten. Das Geld reichte kaum für eine vernünftige Grundversorgung.
Erschöpft von diesem Abend, vor allem von Sunny, ließ er sich auf sein Sofa fallen.
Das würde wohl immer so bleiben, dass er nach Hause kam und da war niemand, der ihn begrüßte. Niemand, der sich auf ihn freute.
Er war jetzt einunddreißig Jahre und hatte sich damit abgefunden, keine Familie zu gründen. Das war zwar schade, aber es war okay. Er hatte ja seine gelegentlichen Kurzzeitbeziehungen, bei denen er von vornherein klarmachte, dass er an nichts Ernstem interessiert war. Es gab genügend Frauen, die ebenfalls auf solch ein kleines Abenteuer Lust hatten. Meistens hielt es ein paar Wochen, manchmal auch ein halbes Jahr oder länger.
Wie gesagt, mit der Tatsache, keine eigene Familie zu haben, hatte er sich längst abgefunden, aber immer wieder in diese leere Wohnung zu kommen, damit wollte er sich einfach nicht abfinden.
Wieso hole ich mir nicht einen Hund?, dachte Tony. Er hatte seit jeher einen haben wollen, aber seine Mutter war dagegen gewesen. Als er zu Hause ausgezogen war, hatte er diese Idee dann jahrelang aus den Augen verloren, aber seit einiger Zeit war dieser Gedanke immer wieder aufgeploppt.
Wieso eigentlich nicht?




Tatsächlich nur zwei Kilometer Luftlinie entfernt betrat auch Isabelle ihre einsame Wohnung.
Auf dem Wohnzimmertisch hatte sie etliche Teelichter aufgestellt, die sie jetzt nutzlos anstarrten. Morgen würde sie die wieder in den Schrank stellen, wo sie die meiste Zeit ihres Lebens versauerten. In der Regel hatte sie nur einmal im Jahr die Muße, es sich zu Hause so richtig gemütlich zu machen.
Isabelle legte die Füße auf den Couchtisch und ließ ihr heutiges Date Revue passieren. Was für ein Desaster! Ein Highlight hatte das nächste gejagt. Da waren die kostenlose BMI-Berechnung und der käselose Cheeseburger nur der Anfang gewesen.
Zum Schluss hatte sie darauf bestanden, ihr Essen selbst zu zahlen, trotz Simons Angebot, sie einzuladen. Nie und nimmer wollte sie diesem Vollidioten etwas schuldig sein!
»Hey Siri, spiel Musik!«, instruierte Isabelle in den Raum hinein, damit die Stille nicht mehr ganz so unerträglich war.
Die kleinen, bunten Kugeln in ihrem Wohnzimmer spielten augenblicklich Musik.
I feel lonely, lo-lo-lo-lo-lonely, ertönte die Stimme von Sasha zu Neunzigerjahre-Reggae-Pop-Tönen.
»Sehr witzig!« Isabelle verdrehte die Augen, musste angesichts der Situationskomik aber selbst schmunzeln. Der Kosmos hatte Humor!
Allerdings wünschte sie sich jetzt schon, dass jemand neben ihr säße, an den sie sich kuscheln könnte. Sicherlich nicht Simon. Auch nicht Henning. Das Thema war durch, obwohl sie zugeben musste, dass sie hier bereits schöne Abende zusammen auf dem Sofa verbracht hatten.
So!, beschloss Isabelle auf einmal. Wer sagte denn, dass da ein Mann sein musste, mit dem sie abends kuscheln konnte? Jetzt reicht’s! Ich hol mir einen Hund!