Warum ich immer wieder die Katze rette
Vor allem für Menschen, die keine Bücher schreiben, ist diese Überschrift vermutlich recht verwirrend. Autorinnen und Autoren hingegen wissen wahrscheinlich schon, worauf ich mich beziehe. Es geht um den Schreibratgeber „Save The Cat“ von Blake Snyder. Zu Deutsch: Rette die Katze! Was es mit diesem Werk auf sich hat, wie es die Filmindustrie und nun auch die Buchbranche - in meinen Augen - revolutioniert hat, beschreibe ich in diesem Artikel.
28. Juli 2023
IIch finde, im Leben sollte man sich immer weiterbilden - in beruflichen und in privaten Dingen. Man lernt halt nie aus. Das ist auch der Grund, weswegen ich jedes Jahr in der Regel mindestens einen neuen Schreibratgeber durcharbeite (meistens sind es allerdings mehr). Aus jedem kann man etwas für sich mitnehmen. Mal ist es mehr, mal ist es weniger. Allerdings gab es einen Ratgeber, der mein Schreiben von Grund auf verändert hat. Und das ist „Save The Cat“ von Blake Snyder (1957 - 2009), der inzwischen leider nicht mehr unter uns verweilt, was ich sehr bedauere, weil ich glaube, dass er noch viele weitere gute Ratgeber geschrieben hätte.

Bevor er 2005 sein „Save The Cat“-Konzept veröffentlichte, war er Drehbuchautor in Hollywood. Im Jahr 1992 erschien der Film „Stop! Oder meine Mami schießt!“ mit Sylvester Stallone und „Golden Girl“ Estelle Getty in den Hauptrollen. Ein Kassenhit! Zwei Jahre später folgte der Disney-Film „Mac Millionär – Zu clever für ’nen Blanko-Scheck“, von dem ich, ehrlich gesagt, noch nie etwas gehört hatte. Allerdings war ich aufgrund seiner Vita bereits beeindruckt, denn immer wieder lese ich Schreibratgeber von Autorinnen und Autoren, die zumindest meiner Recherche nach noch nie einen Bestseller verfasst haben, aber hier hatte ich auf einmal einen Leitfaden von einem Drehbuchautor, der offensichtlich wusste, was er macht. Immerhin hatte „Stop! Oder meine Mami schießt!“ an den Kinokassen 70 Millionen Dollar eingespielt!

Aber was ist denn nun an „Save The Cat!“ so anders? Nun, zunächst muss ich sagen, dass diese Methode ursprünglich für das Schreiben von Drehbüchern entwickelt wurde. Hierfür hat Snyder etliche Filme analysiert und festgestellt, dass sie alle einem bestimmten Muster folgen (und in jedem Film dieselben 15 sogenannten Beat Sheets vorkommen). So ist das Opening Image beispielsweise fast immer ein Gegenbild zum Final Image, also zur Schlussszene. Es zeigt, wie sehr sich unser Filmheld oder unsere Filmheldin verändert hat. (Das ist übrigens eine Sache, die alle Schreibratgeber gemeinsam haben: Der Protagonist muss sich verändern.)

Die meisten Schreibratgeber sind in ihren Tipps meist nicht sehr konkret, aber bei „Save The Cat!“ wird einem klar gesagt: So, das musst du tun! Und es wird einem nicht nur gesagt, was getan werden muss, sondern auch noch an welcher Stelle und in welcher Reihenfolge. Doch das Beste daran ist: Diese Formel kann man auf alle Genre anwenden, egal ob Thriller oder Liebesfilm. Und damit nicht genug: Man kann sie genauso gut auf Bücher übertragen. So hat Jessica Brody 2018 eine Adaption der „Save The Cat“-Methode für Romane herausgebracht, gefolgt von einer Erweiterung für Jugendromane im Jahr 2023. Außerdem wurde die „Katze“ 2015 ins Deutsche übersetzt.

Selbstverständlich gibt es auch jede Menge Kritik an dieser Methode — nämlich die, dass alle Drehbücher (oder eben auch Romane), die nach diesem Rezept verfasst werden, formelhaft sind. Aber soll ich euch etwas verraten? Hollywood LIEBT Schema F! Filmstudios LIEBEN Schema F! Buchverlage LIEBEN Schema F! Literaturagenturen LIEBEN Schema F! Und auch Leserinnen und Leser lieben in der Regel handlungsreiche Romane, was „Save The Cat“ mehr oder weniger gewährt.

Denn das ist doch eines der ersten Dinge, die wir an Geschichten kritisieren: „Es plätscherte so dahin!“

Für diesen Artikel möchte ich einmal etwas Ulkiges ausprobieren: Ich werde versuchen, die 15 Beat Sheets von „Save The Cat“ auf Band 1 der „Klugscheißer“-Trilogie anzuwenden. Als ich diesen Band 2009 geschrieben habe, kannte ich die „Save The Cat“-Methode noch nicht. Also werde ich an einigen Stellen sicherlich ein wenig improvisieren müssen (wie Blake Snyder das in seinem Buch „Save The Cat Goes To The Movies“ aus dem Jahr 2007 auch gemacht hat — hier analysiert er etliche bekannte Spielfilme, sodass man die Beat Sheets noch besser versteht).

Opening Image
Das Opening Image hat zwei wichtige Aufgaben: Zum einen soll es den Ton und das Genre des Films oder des Buchs vermitteln, zum anderen zeigt es den Protagonisten, bevor er sich verändert. Die erste Szene in „Klugscheißer Royale“ zeigt Timo Seidel im Callcenter. Er ist gereizt, unglücklich, klugscheißerisch und eckt bei sämtlichen Menschen an. Das Ganze wird recht witzig erzählt, sodass sofort klar sein sollte, dass es sich um einen humorvollen Roman handelt. Außerdem korrespondiert das Opening Image sehr mit dem Final Image: Zum Schluss werden wir Timo Seidel sehen, wie er sein Leben in den Griff bekommen hat. Er trifft hier Birte wieder, die im Gegensatz zu ihm immer noch im Callcenter arbeitet und bei der sich nicht viel verändert hat.

Theme Stated
Nicht ganz so einfach finde ich Beat Sheet Nummer zwei. Snyder schreibt, dass dem Protagonisten in den ersten fünf Minuten eines Films meistens eine wichtige Frage gestellt wird, die das eigentliche Thema des Films repräsentiert. Ich würde hier am ehesten eine Stelle aus Kapitel 3 benennen, in der Timos Freundin Cleo mit ihm Schluss macht. Hierbei stellt sie ihm die Frage, ob er nicht irgendwann einmal erwachsen werden will und dass er keine Verantwortung für sich übernehmen kann. Darum geht es im Grunde. Timo muss lernen erwachsen zu werden, auch wenn er das mit 28 Jahren eigentlich schon längst sein sollte.

Set-up
Im Set-up wird dann die Welt des Protagonisten vorgestellt. Zunächst erleben wir Timo auf der Arbeit im Callcenter. Diese Stelle verliert er in Kapitel 2 allerdings direkt, weil er sich nicht zu benehmen weiß. Aus demselben Grund macht seine Freundin Cleo zu Hause ebenfalls (ausgerechnet am selben Tag) mit ihm Schluss. Dies ist tatsächlich sehr typisch für das Set-up. Wir erleben den Protagonisten auf der Arbeit, zu Hause und mit seinen Freunden (in Kapitel 3 telefoniert er außerdem mit seinem besten Freund Tholo). Ebenfalls wichtig sind die sogenannten Six Things That Need Fixing, also sechs Dinge, die im Leben des Protagonisten nicht stimmen. Sechs ist hierbei übrigens nur eine willkürliche Zahl. Timo hat allerdings eine Menge Probleme:
  1. Er ist unreif.
  2. Er ist besserwisserisch.
  3. Er hat keinen Job mehr.
  4. Er hat keine Freundin mehr.
  5. Er hat ab jetzt finanzielle Probleme, weil bisher seine (nun) Ex-Freundin die meisten Rechnungen übernommen hat.

Catalyst
Als Nächstes folgt der alles entscheidende Catalyst. Dies ist ein wichtiges Ereignis, das den Protagonisten in eine andere Welt katapultiert und für eine Menge Veränderung sorgt. Dieser kommt in „Klugscheißer Royale“ erst in Kapitel 9 (ein wenig spät, wenn man sich genau an die „Save The Cat“-Methode halten würde). Hier wird Timo, nachdem er sich arbeitslos melden musste und Schwierigkeiten hat, seine Rechnungen zu bezahlen, eine Stelle als Aushilfslehrer an einer Abendschule angeboten. Da er mit einem amerikanischen Vater aufgewachsen ist (seine Eltern haben nie geheiratet, deshalb hat er einen deutschen Nachnamen), spricht er fließend Englisch. Genau für dieses Fach wird händeringend ein Aushilfslehrer gesucht.

Debate
In der anschließenden Debate-Szene überlegt Timo kurz, ob er für diese Stelle überhaupt infrage kommt. Eigentlich geht es in dieser Szene mehr darum, dass der Protagonist überlegt, ob er sich auf das Angebot überhaupt einlassen soll, in meinem Roman ist Timo allerdings so verzweifelt, dass sich ihm diese Frage gar nicht stellt. Er überlegt allerdings, ob er als Bewerber ohne Studium überhaupt eine Chance hat. Es folgt ein recht amüsantes Bewerbungsgespräch (mehr verrate ich an dieser Stelle allerdings noch nicht, falls ihr „Klugscheißer Royale“ noch nicht kennen solltet).

Break Into Two
Nun bekommt Akt 2. In dieser Szene erleben wir den Protagonisten in einer Welt, die auf den Kopf gestellt wurde. War Timo gerade noch arbeitslos und ohne Perspektive, so steht er nun als Lehrer vor einer Klasse und versucht sich zu behaupten. Eigentlich soll dies nur eine kurze Szene sein. Insgesamt ist Kapitel 12 aber doch etwas länger.

B Story
Ebenfalls überlegen muss ich, was die B Story angeht. Hier wird eine Figur eingeführt, die meistens aus der „neuen Welt“ entstammt und dem Protagonisten dabei hilft, seine Lektion zu lernen. Oft ist es eine Liebesgeschichte (falls es sich nicht um einen Liebesfilm handelt). Es kann allerdings auch ein Mentor sein, weswegen ich dazu neige, als B Story Timos Schulleiterin Frau Penner (sie heißt wirklich so!) zu benennen. Zum einen entstammt sie aus der „neuen Welt“, zum anderen wird sie Timo dabei helfen, sich für ein Studium zu entscheiden.

Fun and Games
Hier wird das Versprechen eingelöst, das wir dem Filmplakat entnehmen. Alle lustigen oder aufregenden Szenen, die wir im Trailer sehen, stammen größtenteils aus diesem Abschnitt. Im Falle von „Klugscheißer Royale“ wären dies vermutlich die ganzen Szenen, in denen Timo sich als Lehrer versucht. Außerdem eckt er ziemlich schnell bei einigen Kolleginnen an.

Midpoint
Blake Snyders Midpoint ist, wie der Name schon suggeriert, genau in der Mitte des Films. Hier erlebt der Protagonist entweder eine Niederlage odert einen falschen Sieg (es ist deshalb ein falscher und kein wahrer Sieg, weil der Film an dieser Stelle ansonsten schon vorbei und die Transformation des Protagonisten abgeschlossen wäre). Spaßeshalber habe ich einmal nachgeschaut, wo sich denn in „Klugscheißer Royale“ die Mitte befindet. Das Buch hat 231 Seiten - insofern finden wir sie auf den Seiten 115/116, am Ende von Kapitel 14, wo Timo sich auf einen ungeplanten Seitensprung mit der Freundin seines besten Freundes einlässt. Dieses Ereignis würde ich nicht als Midpoint der Handlung festlegen. Ich würde da eher das Ende von Kapitel 13 nehmen, in dem der Streit zwischen Timo und zwei seiner Kolleginnen eskaliert und er einen sehr derben und diskriminierenden Spruch heraushaut, den er augenblicklich bereut und von dem er weiß, dass er ihn noch heimsuchen wird. Insofern wäre Timos Midpoint eine Niederlage.

Bad Guys Close In
Vor allem die zweiten Hälfte von „Klugscheißer Royale“ weicht im Timing doch stark von der „Save The Cat“-Methode ab. Im Beat Sheet Bad Guys Close In „verdüstert“ sich die Stimmung in der Regel, bis der Protagonist schließlich im nächsten Abschnitt am Boden angekommen ist. Hier könnte man einige Ereignisse nennen: Dass Timos Schulleiterin ihn wegen seiner Entgleisung rügt oder beispielsweise dass er seinen besten Freund verliert. Es gibt hier allerdings auch einige schöne Vorkomnisse und Aha-Erlebnisse für Timo, die an diese Stelle nach der „Save The Cat“-Methode nicht unbedingt hingehören.

All is lost
Vor allem der Zeitpunkt, an dem Timo völlig am Boden zerstört ist, kommt etwas später. In Kapitel 28 erfährt er etwas über seine Ex-Freundin, das ihm den Boden unter den Füßen wegzieht. (Um nicht zu spoilern, erwähne ich hier nicht genau, worum es sich handelt. Wer „Klugscheißer Royale“ gelesen hat, wird sich aber bestimmt erinnern.) Snyder spricht in seinem Buch hier vom Whiff of Death (zu deutsch: Hauch des Todes). Irgendetwas oder irgendwer stirbt hier. Dies kann allerdings auch metaphorisch gemeint sein. (Wie es in Timos Fall aussieht, verrate ich, wie gesagt, nicht. Aber es ist schon erstaunlich, wie sehr man die „Save The Cat“-Methode auf „Klugscheißer Royale“ anwenden kann, obwohl ich diese zum Zeitpunkt des Schreibens noch nicht kannte.)

Dark Knight of the Soul
Wie geht der Protagonist mit dieser lebensverändernden Niederlage um? Darum geht es in diesem Abschnitt. Timo sucht Halt bei seiner Mentorin (seiner Schulleiterin), von der er in den letzten Monaten viel gelernt hat.

Break Into Three
Wie schon erwähnt: Mein Timing ist hier etwas anders. Eigentlich beginnt jetzt der dritte Akt, „Klugscheißer Royale“ ist an dieser Stelle aber fast schon am Ende. Zu diesem Zeitpunkt würde der Protagonist nun die Dinge anwenden, die er dank der B Story-Figur gelernt hat. Die A Story und B Story würden sich hier also kreuzen. Solch ein Moment wird in meinem Buch allerdings nur angedeutet.

Finale
Auch ein fulminantes Finale bleibt aus. Dieses besteht daraus, dass Timo sich im Studierendensekretariat für ein Lehramtsstudiun einträgt. Eine Entscheidung, die sein Leben für die Zukunft beeinflussen wird. Viele Jahre zuvor hat er ein solches Studium schon einmal probiert, es aber sofort beendet, weil er hierfür noch nicht reif genug war. Aufgrund der Ereignisse der vergangenen Monate und dank seiner Erfahrung an der Abendschule weiß er nun aber, wieso es sich lohnt, die Strapazen eines solches Studiums auf sich zu nehmen.

Final Image
Wie oben schon erwähnt, trifft Timo in der letzten Szene auf eine Mitarbeiterin, die er vom Callcenter kennt. Während sich sein Leben grundlegend verändert hat, berichtet sie, dass bei ihr auf der Arbeit alles wie immer ist. Timo wird sich bewusst, wie viel sich in seinem Leben verändert hat, während er sich fest an seine Immatrikulationsunterlagen klammert.

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Über den Autor: Thorsten Steffens

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